Kapitel 2 - 10 Jahre später

Abschnitt 2

Die Tür zu dem kleinen, muffigen Raum wurde von außen aufgestoßen und Roland Gertner hob kurz den Kopf, um sich zu vergewissern, dass es wirklich nur sein Bruder Patrick war, der laut trampelnd in das Zimmer trat. 

Patrick war der Jüngere von den Beiden und hatte eher die Muskeln ihres Vaters abbekommen, während Roland sich glücklich schätzte, den Geist und die Intelligenz der Mutter geerbt zu haben...|

Kurzum, Roland war der Führer des Brüderpaares und Patrick der ausführende Macher. Zum Ausführen gab es genügend Möglichkeiten, denn sie hatten sich darauf spezialisiert, das Geld anderer Leute in die eigene Tasche fließen zu lassen und hielten sich damit mehr oder weniger erfolgreich über Wasser...|

Doch seit einigen Wochen spukte in ihren Köpfen eine Idee herum, die überlegenswert schien und beide hatten einiges ausgekundschaftet, die Informationen zu bekommen die man benötigte, um diese Idee auch wirklich in die Tat umzusetzen. 

Roland hatte sich wieder dem Stadtplan zugewandt der vor ihm lag, als Patrick ohne Aufforderung zu sprechen begann.

"Du hattest Recht, diese Arbeitsgruppe Fußball in der Schule hat morgen wieder Training und der Junge wird daran teilnehmen." 

"Wie hast Du das herausbekommen?", sein größerer Bruder fand dieses Detail nun wesentlich interessanter als den Plan und schaute Patrick direkt an. 

"Habe bei der Schule angerufen und mich als Elternteil von einem anderen Schüler, dessen Namen ich in Erfahrung gebracht habe, ausgegeben. Meine Frage wann denn die Fußball-AG wieder trainieren würde, weil ich meinen Sohn gerne dort anmelden würde, wurde mir sehr bereitwillig beantwortet." 

Patrick grinste seinen Bruder schräg an...|

Wieder ließ Patrick dieses gemeine Grinsen erscheinen, das wie kein anderes Merkmal seinen ganzen dunklen Charakter aufzeigte. Roland konnte dieses Lächeln eigentlich nie leiden, aber jetzt war er beeindruckt von ihm, denn die Art wie er an die Information gekommen war passte nicht zu Patrick.

Doch manchmal hatte auch sein kleiner Bruder lichte Momente und in diesem Fall war es ein sehr guter Einfall, der zu einem dieser Momente geführt hatte. 

Das würde bedeuten, dass sie morgen ihren Plan in die Tat umsetzen wollten, denn wenn der Bengel der Linkendorffs auf dem Weg zu seinem Freund war, gab es eine Stelle wo man hervorragend zuschlagen konnte, ohne dass sie dabei beobachtet wurden und das würden sie eiskalt ausnutzen…

Wie jeder Junge in seinem Alter liebte Benjamin es, wenn das Fahrrad Tempo aufnahm und jede Kurve zwar risikoreich, aber doch gekonnt gemeistert werden konnte.

Gleich würde das kleine Waldstück beginnen und hier konnte er die Vorteile des Rades nutzen, die gewöhnlich dann auftraten, wenn der Weg naturbelassen daher kam. Besonders reizte Benjamin die Stelle an der die große Eiche stand, denn hier konnte man nicht in die darauf folgende Linkskurve einsehen und das bedeutete immer wieder einen besonderen Kick. 

Da Fußgänger den Wald an dieser Stelle kaum nutzten, weil der Boden sehr uneben und unübersichtlich war, musste er zwar abbremsen, damit die Kurve überstanden wurde, aber das Tempo war immer noch hoch genug, um Adrenalin in den Körper zu pumpen und den Reiz dieser Aktion in jeder Faser seines Körpers zu spüren. 

Die Eiche kam näher, noch zwanzig Meter, noch einmal die Pedale treten, jetzt voll in die Bremse und dann wieder…er wusste nicht was es war. 

Etwas flog von rechts heran, traf in voll und mitten in der Kurve. Der Zusammenstoß fegte ihn aus dem Sattel und er flog einige Meter durch die Luft, ehe er mit einem harten Aufprall auf die alte Eiche stieß. 

Ein heftiger Schmerz zog durch seinen Körper und ehe er verstand was da gerade passierte, merkte er nur noch, dass jemand ihn hochriss.

Während er immer weiter Richtung Tür kroch, hörte er plötzlich andere Geräusche. Ein lautes Rauschen und dann das hundertfache Krächzen von Raben oder Krähen. Und er hörte auch die Schreie seines Bruders, zuerst voller Wut, doch kurze Zeit später voller Angst und Furcht, voller Qualen und schon bald voller Todesangst. 

Patrick schrie immer lauter und man konnte förmlich spüren, dass da draußen etwas Schreckliches mit ihm passierte. Roland kam wieder auf die Beine, die Angst um seinen Bruder weckte neue Lebensgeister in ihm und er rappelte sich hoch. 

So schnell es eben ging rannte er zur Tür und hinaus auf den Hof. Doch was er da sah ließ sein Blut in den Adern gefrieren. Der Schrei aus seiner Kehle übertönte noch das laute Krächzen der vielen schwarzen Vögel, die auf dem zusammengesackten Körper seines Bruders saßen und auf ihn einschlugen. 

"Nnneiiinnn!!!".