Doch Roland ließ sich nie auf irgendetwas ein, auch wenn manchmal brutale Mittel verwandt wurden, um ihn auf eine Seite einzustimmen. Am Ende hatten alle einen gewissen Respekt vor ihm, vor seiner Neutralität und vor der Tatsache, dass er sich in den fast zwanzig Jahren den Beinamen Professor angeeignet hatte.
Es gab fast nichts, auf das Roland Gertner oder Kapitän Hook, wie ihn hier im Gefängnis wegen seiner Augenklappe alle nannten, nicht hätte eine passende Erklärung gehabt. Speziell das Tierreich hatte es ihm angetan und die Mythologie verschiedener Völker und Religionen.
Irgendwann hatte es angefangen mit diesem Interesse und er fraß sich förmlich durch Bücher. Nachdem er zehn Jahre eingesessen hatte, hielt auch das Internet im Gefängnis Einzug.
Bestimmte Häftlinge durften für Recherchezwecke, wenn sie zum Beispiel ein Buch schrieben oder einfach nur Interesse an Fachbereichen hatten, für die die Gefängnisbibliothek nicht ausführlich genug gewesen war, ins Netz und unter Aufsicht der Wärter ihre Informationen einholen.
Da Roland einer der Insassen war, die von allen Verantwortlichen eine gute Bewertung für ihr tadelloses Benehmen im Knast bekamen, durfte auch er bald das Internet nutzen.
Ein Baum, eine Hecke, viel Laub. Perfekter konnte das Versteck für Farur nicht sein, um die Tauben, die unten auf dem Weg nach Futter pickten, beobachten zu können.
Er hatte sie schon des Öfteren hier gesehen und wusste, dass sie eine leichte Beute werden würden. Sie mussten irgendwo in der Nähe ihren Schlag haben und waren fast immer zur selben zeit unterwegs, der Habicht musste nur warten.
Nun sah er sie und wusste, dass bald seine Zeit gekommen war. Einen Augenblick noch und dann ließ er sich regelrecht vom Baum fallen, nutzte die Hecke und flog in einem geschickten Manöver über sie hinweg.
Als die Tauben ihn bemerkten, war es schon zu spät. Mit der Erfahrung eines alten Jägers bohrte sich seine scharfen Krallen direkt in den Leib der ersten Taube, die er bekommen konnte und drückte diese so oft in den Körper des Vogels, bis dieser sich nicht mehr bewegte.
Teilnahmslos beobachtete er die Taube und sah in ihren Augen das Leben vergehen. Seine Beute feste greifend, flog davon, suchte sich einen geeigneten Rupfplatz und zerlegte seine Nahrung, ehe er sie in kleinen Happen hinunter schlang.
Hier in der Nähe der Stadt hatte Farur einen Ort gefunden, an dem er alt werden konnte. Kaum einer nahm Notiz von ihm und die vielen Vögel in der Gegend waren die Garantie, dass er immer genügend Futter hatte.
Benjamin wollte jedoch wissen, wer oder was ihn oder sogar die Erde bedrohte.
"Wer ist unser Feind, ich muß es wissen, wie soll ich mich hier in Ruhe auf meine Arbeit konzentrieren, wenn ich weiß, dass es etwas gibt das nach meinem Leben trachtet oder gar die Welt bedroht. Isala, ich habe Geduld bewiesen, das stimmt, aber ich habe sie auch deswegen aufgebracht, weil mir immer alles leicht von der Hand ging. Irgendwie ist mein Leben in sehr bequemen und vor allem sehr erfreulichen Bahnen gelaufen. Und nun kommst du hier in meine Praxis und erzählst mir, dass alles bedroht ist durch einen Feind, der scheinbar mindestens genauso große Kräfte besitzt wie du. Ich muß wissen, mit wem wir es hier zu tun haben!"
Isala antwortete nicht direkt, man merkte, dass sie überlegte, dass es in ihr arbeitete.
"Es würde eine zu große Zeitspanne in Anspruch nehmen, wenn ich dir alle Einzelheiten erklären müßte. Deswegen an dieser Stelle nur so viel, unser Feind lebt schon sehr lange, hatte auch schon einmal mit diesem Schwarm zu tun, jedoch vor meiner Zeit. Er hat schon einmal mit ihm gekämpft, aber dabei eine Niederlage erlitten, die ihn jedoch nicht tötete, aber erheblich schwächte. Sein Name ist Sabador!"
Die Krähe drehte sich um und flog davon, aber nicht ohne eine letzte Nachricht.
"Heute Nacht wirst du mehr erfahren. Heute Nacht, Benjamin."
Benjamin stand auf einer grünen Wiese, vor ihm befand sich ein großer Wald, dessen Bäume so hoch waren, dass sie bis in die Wolken reichten und er ihr Ende nicht mehr mit bloßem Auge erkennen konnte.
In seinem Rücken sah er einen Berg, der ebenfalls sehr hoch war und der links und rechts von kleineren Bergen flaniert wurde. Nirgendwo gab es ein Anzeichen von Zivilisation oder Ansiedlungen in denen Menschen hätten leben können.
"Hallo? Ist hier jemand?"
Benjamin fragte mehr aus Verlegenheit, denn aus Neugierde, aber er bekam eine Antwort.
"Aber natürlich ist hier jemand, wir werden dich auf dieser Reise begleiten und dir genau erklären wo du bist und was passiert."
Er drehte seinen Kopf ein wenig nach links und sah zu seiner Beruhigung Isala und die zwei anderen Krähen auf den untersten Ästen einer der Bäume sitzen.
"Wo befinden wir uns? Es sieht so menschenleer hier aus."
Benjamin schaute sich nach allen Seiten um.
"Wir befinden uns hier in Asgard, das Reich der nordischen Götter, genauer gesagt der Asen. In diesem Reich leben die Götter der germanischen Mythologie und das da ist einer von ihnen."
Mit dem Kopf nickte Isala in die Richtung, die hinter Benjamin lag, dieser drehte sich um. Ein alter Mann kam über die Wiese direkt auf ihn zu, schien ihn jedoch nicht wahrgenommen zu haben.
"Wer ist das und kann er mich sehen?"